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Petra_Schulten, 20.06.2005

Fremdsprachenunterricht ab der ersten Grundschulklasse in NRW

Über den Sinn und Unsinn dieser Entscheidung...

Künftig sollen schon die ganz kleinen Kinder in der Grundschule eine Fremdsprache lernen. Eine sinnvolle Maßnahme?
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Wie der Kölner Stadtanzeiger am 09.06.05 berichtete, sollen Grundschulkinder bereits ab der ersten Klasse eine Fremdsprache lernen.

Nun ist es unumstritten, dass kleinere Kinder Sprachen viel schneller lernen als ältere. Zwar sind sich Sprachweissenschaftler nicht ganz einig, wann die eigentliche Zeit des sehr intuitiven Spracherwerbs vorbei ist, innerhalb derer ein Kind die zweite Sprache ebenso leicht erlernen kann wie die Muttersprache. Fest steht aber, dass es mit spätestens 12 Jahren sehr viel schwerer wird und Kinder eine Fremdsprache dann fast genauso mühsam erlernen müssen wie Erwachsene.

Deswegen ist es ideal, Fremdsprachen bereits in der Grundschule oder sogar schon im Kindergarten zu unterrichten. Leider ist trotzdem ein Haken an der Sache...

Einige Bundesländer unterrichten bereits seit einigen Jahren Fremdsprachen in der Grundschule und zwar normalerweise ab der 3. Klasse. Es zeigt sich, dass Kinder generell viel Spaß daran haben. Das Problem liegt eher am Lehrpersonal. Unsere Grundschullehrer lernen bisher im Studium weder eine Fremdsprache noch die entsprechenden Methoden, um Kinder darin zu unterrichten. Der durchschnittliche Grundschullehrer hat daher auch nur rudimentäre und oft weitgehend vergessene Schulkenntnisse der englischen Sprache. Da gleichzeitig mit dem Beschluss, Fremdsprachen schon in der Grundschule zu unterrichten, Mittelkürzungen in Kraft traten, war nicht daran zu denken, neue Lehrer einzustellen. Grundschullehrer sind ja sowieso nicht so fachspezifisch ausgebildet, wie die Lehrer weiterführender Schulen, sondern unterrichten fast alle Fächer. Fieberhaft wurde also nach Lehrern gesucht, die bereit waren, neben ihrem normalen Arbeitspensum auch noch monatelange Fortbildungen zu machen, die sie befähigten, Fremdsprachenunterricht zu geben. Da es nicht genug Freiwillige gab, wurden einige Kollegen geradezu gezwungen, an den Kursen teilzunehmen.

Da es sowieso zweifelhaft ist, ob eine nebenberufliche Fortbildung über einige Monate hinweg überhaupt ausreicht, um kompetent eine Sprache zu unterrichten und zudem sehr viele Lehrer auch eher widerwillig teilnahmen, war das Ergebnis eher zweifelhaft. Zum einen war das Ziel des Unterrichts sowieso eher eine "Begegnung mit der anderen Sprache", d.h. beispielsweise in Schleswig-Holstein wurden täglich zehn Minuten gemeinsam gesungen oder andere Aktivitäten mit der neuen Sprache durchgeführt. Hier wurde allenfalls Neugier geweckt oder die Hemmnisschwelle einer neuen Sprache gegenüber gesenkt. Zum anderen wunderten sich Kinder, die bereits zweisprachig waren, darüber "dass die Lehrerin viele Wörter ganz anders ausspricht, als ich es kenne". Das kann natürlich an lokalen Unterschieden liegen - amerikanisches Englisch klingt völlig anders als englisches oder schottisches. Sehr oft aber liegt es auch an der mangelnden Kompetenz des unterrichtenden Lehrers.

Es gibt Modellversuche und vor allem bereits erfolgreich praktizierten Sprachenunterricht in anderen Ländern, der zeigt, wie das Unterrichten von Fremdsprachen erfolgreich durchgeführt werden kann.

Am effektivsten ist "Immersion", auch bilingualer Unterricht genannt. Hier wird das Kind täglich mehrere Stunden lang der Fremdsprache "ausgesetzt", ohne dass Unterricht stattfindet, wie wir ihn als Erwachsene kennen, mit Grammatik- und Vokabellernen. Stattdessen gibt es idealerweise einen Muttersprachler der zu erlerndenden Sprache, der ausschließlich in seiner Sprache mit den Kindern spricht. Während also gemalt, gespielt und gegessen wird, hören die Kinder diese Sprache und begreifen auch bald, dass sie mit dieser Person nur in der entsprechenden Sprache kommunizieren können. Natürlich werden auch gemeinsam Lieder gesungen, kleine Sprachspiele gemacht und Bücher angesehen. Nach einigen Monaten erfolgt ein geradezu explosionsartiger Lernschub und die Kinder beginnen, die Sprache frei zu sprechen. Zwar dauert es noch einmal eine ganze Weile, bis die Grammatik fehlerfrei gemeistert wird, aber trotzdem ist diese Art des Lernens sehr natürlich, schnell und erfolgreich.
(vgl. auch http://www.fmks-online.de/infotexte/info_wirklichgut.shtml )

Diese Methode ähnelt sehr dem erfolgreichsten Prinzip der zweisprachigen Erziehung im Elternhaus, bei der der Vater eine Sprache spricht und die Mutter die andere.

Forschungen haben bewiesen, dass Zweisprachigkeit die Sprachentwicklung, auch in der Hauptsprache, fördert und überhaupt auf die Intelligenz eine positive Auswirkung hat, da die beiden Gehirnhälften besser vernetzt werden. Dass Zweisprachigkeit im Erwachsenenalter von Vorteil ist, weil die Berufschancen besser sind, liegt sowieso auf der Hand.

Sprachunterricht in der Grundschule ist also eine tolle Sache, aber er muss richtig angefasst werden, damit er auch nützt. Es muss genug Zeit dafür zur Verfügung stehen und vor allem braucht es sehr gut ausgebildetes Personal, am besten sogar Muttersprachler. Es ist sehr zweifelhaft, ob die neue Regierung in NRW dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen wird. Eher ist zu befürchten, dass es sich um einen Schnellschuss handelt, der wenig bringt und nur dazu taugt, die bisher relativ erfolgreichen Grundschulen zu schikanieren und Unruhe in den Lehrplan zu bringen, wie auch Baldur Bertling, der Pressesprecher der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen des Grundschulverbandes, befürchtet. (http://www.grundschulverband.de/aktuell_single+M51cf6dd7aef.html)

Schließlich gibt es noch viele andere Probleme zu lösen, z. B. die Tatsache, dass immer mehr völlig verwahrloste Kinder in die Schule kommen, die unangemessen gekleidet sind, hungrig und ohne Pausenbrot zum Unterricht erscheinen und überhaupt keine soziale Kompetenz haben. Viele Lehrer kommen daher kaum zu den eigentlichen Unterrichtsfächern, sondern sind damit beschäftigt, Entspannungsübungen mit ihren Schülern zu machen, um ihre Agression abzubauen und ihnen beizubringen, wie man mit anderen Menschen kommuniziert. Ein weiteres Problem ist die Unterrichtssprache selbst. In vielen deutschen Schulen beherrscht ein großer Teil der Schüler kein oder nur wenig Deutsch. Ob es da sinnvoll ist, gleich noch eine Fremdsprache mitzuliefern? Vielleicht hätte sich die neue Regierung lieber erst einmal mit den ganz grundlegenden Problemen beschäftigen sollen, statt nun ein vermutlich eher unausgegorenes Konzept für Fremdsprachenunterricht vorzulegen... Aber noch sind die Einzelheiten nicht bekannt, lassen wir uns überraschen!



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Publiziert am 20.06.2005. Verantwortlich für den Inhalt ist allein der Autor. Ein Artikel gibt ausschliesslich die Meinung seines Autors wieder, nicht die der webpool GmbH.

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